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Prüfstart unter Zeitdruck: Wieviel Personal ist für psychisch Erkrankte da?

ÜS zur PPP-RL

Menschen geben sich gegenseitig Halt. Das ist in der Behandlung psychisch Erkrankter umso wichtiger. Klinikpersonal, das therapiert und pflegt, hat hier einen viel höheren Stellenwert als in Krankenhäusern, in denen körperliche Gebrechen geheilt werden. Deshalb soll die vorhandene Personal-Ausstattung solcher Einrichtungen im Jahr 2023 bundesweit erstmals vor Ort festgestellt werden, fordert eine neue Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Sie schreibt für Schleswig-Holstein und Hamburg eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst Nord vor. Bereits 2022 waren umfangreiche Vorarbeiten erforderlich. Für Krankenhäuser wie Medizinische Dienste eine Herausforderung.

Sie besteht darin, in maximal 16 Wochen eine große Zahl von Einrichtungen der Psychiatrie, Psychosomatik sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu prüfen ist. Wieviele genau, steht Anfang des Jahres noch nicht fest, weil die G-BA-Richtlinie zur „Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik“, kurz PPP-Richtlinie, eine jährliche Stichprobe vorschreibt: Dafür sind bundesweit 20 Prozent dieser Einrichtungen für die Prüfung zu ziehen. „Bei statistisch gleicher Verteilung ergäbe das 18 Standorte in unseren beiden Bundesländern. Es könnten weniger sein, aber auch mehr“, rechnet Dr. Anita Zeller vor, die als Teamleiterin der Abteilung Krankenhaus die Prüfungen fachlich begleiten wird. In diesem ersten Jahr wird die Ziehung auf psychiatrische Kliniken begrenzt.

Die Stichproben-Ziehung ist Ende April, der Prüfstart Ende Mai. 16 Wochen sind anschließend wenig Zeit für ein Verfahren, das noch für beide Seiten ungewohnt ist. Denn anders als das Vorgängersystem der Psychiatrie- und Personalverordnung (PsychPV) sieht das neue System vor, dass es vergütungsrelevante sogenannte Mindestpersonal-Untergrenzen gibt. Krankenhäuser müssen sie als Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Behandlung einhalten. Nichteinhalten wird nun aktiv mit Sanktionen belegt.

Die Gutachterteams haben in den 16 Wochen – vereinfacht gesagt – bei den Häusern der Stichprobe zu prüfen, welche Betroffenen mit welcher Erkrankung und welchem Schweregrad behandelt worden sind. Daraus berechnen sie, wieviel Personal es erfordert hätte – und stellen dem gegenüber, wieviel tatsächlich vorhanden war. „Konkret bedeutet das, dass wir uns dafür eine Stichprobe von Fällen ansehen, um festzustellen, ob die Patientinnen und Patienten dem Schweregrad nach von der Klinik richtig eingestuft worden sind“, beschreibt die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie das Verfahren.

„Entscheidend ist dann, wieviel Personal in einem ganzen Quartal laut der Ist-Dienstpläne tatsächlich anwesend war“, erklärt Dr. Zeller. Die Prüfung erfolge dabei „retrograd“, also jeweils quartalsweise rückwirkend. „Außerdem müssen wir die Unterlagen zu jeder und jedem einzelnen Angestellten an dem Standort sichten und prüfen, ob die geforderte Qualifikation überhaupt vorhanden ist. Und das in sechs Berufskategorien!“

Die einzelnen Behandlungsfälle haben sich die ärztlichen Gutachterinnen und Gutachter deshalb so genau anzusehen, weil die PPP-Richtlinie einen höheren Personalschlüssel für schwer Erkrankte fordert. „In der Gerontopsychiatrie ist zum Beispiel der Anteil der Pflegefachkräfte deutlich höher bewertet. Das ist auch sinnvoll, weil die Betroffenen hier altersbedingt multimorbide und dementielle Erkrankungen haben, oft bettlägerig sind und inkontinent. Das bedeutet einen viel höheren Aufwand beim Waschen, Ankleiden und Essen, wodurch sie insgesamt mehr Personal, auch Pflegepersonal, benötigen“, erläutert Dr. Zeller, die selbst viele Jahre im Krankenhaus gearbeitet hat. Der jeweilige Zeitaufwand für Pflege und Therapie pro Fall werden nach festen Minutenwerten beziffert, die eine Tabelle des G-BA vorgibt und die sich an Erfahrungswerten orientiert.

Eine Klinik, die den Schwerpunkt Gerontopsychiatrie hat, müsste deshalb laut Richtlinie mehr Pflegepersonal vorhalten als andere psychiatrische Einrichtungen, in denen sich die Versicherten in der Regel selbst versorgen können. Allein für die künftige Überprüfung der Schweregrade setzt Dr. Zeller einen hohen Zeitaufwand zur Prüfung an: „Rechnen wir mit einer Klinik, in der wir uns 130 digitale Fallakten ansehen müssen und pro Fall zehn bis 15 Minuten benötigen, dann dauert das schon seine Zeit.“

Zwei Erleichterungen für Krankenhäuser hat der G-BA zur Einführung des neuen Systems vorgesehen: Im ersten Prüfjahr müssen die Krankenhäuser die Personalvorgaben nur zu 90 Prozent erfüllen. Diese Quote soll in Schritten in den kommenden Jahren angehoben werden. Dr. Zeller sieht das als „Schonfrist, damit Kliniken Zeit haben, ihren Personalbestand weiter aufbauen zu können.“ Auch mögliche Sanktionen sind bei Prüfungen bis einschließlich 2023 ausgesetzt.

Was die Prüfung durch die Medizinischen Dienste angeht, schreibt die PPP-Richtlinie sie zwingend vor Ort in der Klinik vor. Prüfungen per Aktenlage oder virtuell in einer Videokonferenz sind nicht zulässig. Dr. Anita Zeller bemisst danach auch die eingesetzten Teams, die je nach Standortgröße aus bis zu acht ärztlichen Gutachterinnen und Gutachtern sowie dafür ausgebildeten Kodierfachkräften bestehen werden. Ihre Hoffnung für die Prüfungen in diesem ersten Jahr: „Hier geht es um Untergrenzen, die einzuhalten sind. Also nur den Mindestwert, der aber jederzeit überschritten werden darf. Mehr wäre im Sinne der Versicherten, die in ihren Krisen oft intensive Hilfe benötigen.“

Den ersten Kontakt mit der neuen PPP-Richtlinie hatte die Abteilung Krankenhaus bereits 2022. „Ein Auftrag der Krankenkassenverbände aus dem Dezember hat zu einer anhaltsbezogenen Prüfung einer Einrichtung Ende März 2023 geführt“, so Dr. Zeller. „Dies war die bundesweit erste Prüfung nach der neuen Richtlinie. So konnten wir schon frühzeitig erste Erfahrungen sammeln.“ ♦

 

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Auf welcher Grundlage geprüft wird

Die Grundvoraussetzung zur Prüfung der PPP-Richtlinie ist der Abschnitt 5 im Teil B der MD-QK-RL (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach Paragraf 137 Absatz 3 SGB V zu Kontrollen des Medizinischen Dienstes nach Paragraf 275a SGB V).

Siehe >>PPP-Richtlinie des G-BA

Im „Teil B“ legt der Paragraf 56 fest, dass die Stichprobe von 20 Prozent erstmalig im Jahr 2023 gezogen und geprüft werden soll. Darüber hinaus sind ergänzende anlass- und anhaltsbezogene Kontrollen möglich. 

Siehe >>MD-QK-Richtlinie des G-BA