Zum Inhalt springen

Hier Foto ohne ÜS für Interview unten

"Genug Personal ist da, aber verteilt auf zuviele Krankenhäuser"

"Genug Personal – aber verteilt auf zuviele Krankenhäuser"

Keine ÜS groß

Seit Jahren wird ein Wandel in der deutschen Krankenhauslandschaft gefordert. Nun liegt ein Reformentwurf des Bundesgesundheitsministers vor. Er soll die Probleme lösen, die auch die derzeitige Finanzierung ausschließlich durch Fallpauschalen, den DRG (Diagnosis Related Groups), mit sich bringt. Wie diese Reformideen aussehen, erläutert Dr. Andreas Krokotsch, der Leiter der Abteilung Krankenhaus, im Interview. Er skizziert auch, was sie für die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst Nord bedeuten könnte.

Herr Dr. Krokotsch, wie sieht das geplante neue System aus?

Geplant ist eine Krankenhausreform, die gemäß der Ankündigung des Bundesgesundheitsministers die größte Krankenhausreform seit der Einführung der DRG 2004 werden soll. Eine Regierungskommission hat in ihrer dritten Stellungnahme ein Konzept vorgestellt, das aus drei Kernbestandteilen besteht.

Erster Kernbestandteil ist die bundeseinheitliche Definition von Krankenhaus-Versorgungsstufen, von sogenannten Levels. Diese bundeseinheitlichen Levels sollen nicht nur eine lokale, sondern auch eine überregionale Versorgungsplanung ermöglichen.

Zweiter Kernbestandteil ist die Einführung von Leistungsgruppen. Leistungsgruppen muss man sich wie erweiterte OPS-Kodes vorstellen, die feiner granuliert sind als das Ausweisen einer Fachabteilung, aber gröber granuliert sind als die derzeitigen rund 1.330 DRG.

Dritter Kernbestandteil ist die erstmalige Einführung einer Vorhaltefinanzierung. Denn eines der Hauptprobleme, das seit Einführung der DRG immer offensichtlicher wurde, ist, dass Krankenhäuser aufgrund der ausschließlichen Finanzierung aus den fallbezogenen DRG-Erlösen angehalten sind, viele Fälle zu behandeln und dass in diesem Zuge auch viele unnötige Krankenhausbehandlungen stattfinden.

Zum ersten Punkt: Von der Regierungskommission ist die Einführung von drei Levels geplant. Erstens die Basisversorgung, die in zwei Levels unterteilt wird. Die Basisversorgung besteht aus Krankenhäusern zum einen mit Schwerpunkt auf integriert ambulant-stationäre Versorgung mit ärztlicher Versorgung nur tagsüber, die aber über Betten verfügt. Diese Versorgungszentren können durch qualifizierte Pflegefachkräfte geleitet werden. Auch Angehörigen-Pflege kann dort stattfinden. Hier soll eine Überwindung der Sektorengrenze zwischen ambulantem und stationärem Sektor stattfinden. Das wäre Level I „i“, für integriert. Level I „n“ dagegen benennt Krankenhäuser, die zusätzlich über eine Notfallaufnahme verfügen. Diese Level I n-Häuser sind angedacht für die Notfallversorgung in eher dünn besiedelten Regionen und weiten Distanzen zu großen Krankenhäusern.

Level II entspricht ungefähr den derzeitigen Schwerpunkt-Kliniken, die nicht nur über eine durchgängig besetzte Notfallaufnahme verfügen, sondern zusätzlich mehrere Fachabteilungen vorhalten.

Level III schließlich bezeichnet die sogenannten Maximalversorger, die neben einer hochwertigen Notfall- und intensivmedizinischen Versorgung zudem ein umfassendes Angebot an Fachabteilungen und entsprechenden Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten bieten.

Als weiterer Kernbestandteil sind von der Regierungskommission 188 Leistungsgruppen vorgesehen. Diese enthalten klar vorgegebene Strukturmerkmale, die von den Krankenhäusern erbracht werden müssen. Die Leistungsgruppen sind den jeweiligen Levels zugeordnet. Leistungsgruppen für komplexere Behandlungen können lediglich Level II- oder Level III-Häuser erbringen.

Die Regierungskommission hat in ihrem Konzept vorgesehen, dass der Medizinische Dienst die Einhaltung dieser Strukturvoraussetzungen prüfen und bestätigen muss, ähnlich wie jetzt bei den GBA-Qualitätsprüfungen und den Strukturprüfungen. Aufgabe der Bundesländer, zuständig für die Landeskrankenhausplanung, ist es, auf Grundlage der Levels und Leistungsgruppen dann landesbezogen die Krankenhausversorgung zu planen. Bleibt zu hoffen, dass das im Grundsatz sinnvolle Prinzip von Interessengruppen nicht noch aufgeweicht wird. Erste Tendenzen dazu sind bereits erkennbar.

Wie sollen die sogenannten „Vorhaltekosten“ finanziert werden, also von jemand anderem getragen werden als von den Krankenhäusern selbst?

Die Regierungskommission schlägt vor, dass 40 Prozent der bisherigen kalkulierten Kosten der Krankenhausbehandlung als Vorhalte-Finanzierung vorzusehen ist. Das würde bedeuten, dass der Mengenanreiz durch die DRG reduziert würde, wenn nur noch ein Teil der Kosten über DRG finanziert wird. Wenn man dies zu Ende denkt, ist das Risiko zu sehen, dass Häuser zwar eine Vorhalte-Finanzierung bekommen, aber keinen einzigen Patienten einer Leistungsgruppe behandeln. Um dem entgegenzutreten, schlägt die Regierungskommission Mindestmengen in den Leistungsgruppen und eine Verknüpfung mit der Qualität der Behandlungsergebnisse vor.

Wie bewerten Sie die Pläne der Regierungskommission?

Der Fehlanreiz, dass Krankenhäuser mengengetrieben Erlöse erzielen, bleibt in abgeschwächter Form erhalten, so dass es auch zukünftig möglicherweise unnötige stationäre Krankenhausbehandlungen geben wird. Dennoch finde ich die Idee der Regierungskommission sinnvoll, den Mengenanreiz zu reduzieren, aber nicht komplett herauszunehmen. Ich sehe hier einen Vorteil für Hamburg, wo sehr viele Experten sehr hochwertige „Metropol-Medizin“ anbieten. So könnten diese Experten über die Vorhalte-Investitionen getragen werden und müssen sich nicht allein durch die Menge der Behandlungen refinanzieren.

Wovon wird bei der Reform ausgegangen: Dass die Versorgung schlecht ist, oder dass zu wenig Personal vorhanden ist?

Ich denke, beides sind Ausgangspunkte der Reform. Wir haben die Besonderheit in Deutschland, dass wir im internationalen OECD-Vergleich die meisten Krankenhausbetten pro Bundesbürger haben und mit die höchsten Ausgaben im Krankenhaussektor. Dennoch steht es um die Ergebnisqualität, soweit Zahlen verfügbar sind, nicht besonders gut. Da sind wir eher Mittelmaß. Wohlgemerkt, obwohl wir so viele Krankenhausbetten und so viel Geld in diesem Bereich investieren. Es besteht in Deutschland das Problem, dass wir zu viele Krankenhäuser haben und sich qualifiziertes Fachpersonal, aber auch die Behandlungsfälle, über zu viele Krankenhäuser verteilen.

Haben Sie ein Beispiel?

Es ist bekannt, dass in Deutschland Herzinfarkt-Patienten in Krankenhäusern ohne Herzkatheter-Möglichkeit behandelt werden, ebenso Schlaganfallpatienten in Krankenhäusern ohne Stroke-Unit. Das ist aus qualitativer Sicht nicht gut. Hier ist ein Ansatz der Regierungskommission, durch eine Zentralisierung solcher Behandlungen auf weniger Krankenhausstandorte mit dann höheren Behandlungsfallzahlen zu besserer Struktur- und Behandlungsqualität zu kommen.

Und der Fachkräftemangel?

In der öffentlichen Debatte wird davon ausgegangen, dass wir nicht genügend qualifiziertes Personal in Krankenhäusern haben – sowohl Pflegepersonal als auch ärztliches Personal betreffend. Diese Annahme ist falsch. Die Regierungskommission stellt in Ihrem Konzept fest, dass es im internationalen Vergleich in Deutschland sogar ausgesprochen viel qualifiziertes Pflegepersonal bezogen auf die Bundesbürger gibt. Dieses verteilt sich jedoch über zu viele Krankenhäuser. Das heißt, auch der in der Öffentlichkeit diskutierte Pflegemangel ist ein relativer Mangel, der durch eine Reduktion auf weniger Krankenhausstandorte zu dann ausreichendem qualifiziertem Pflegepersonal an einzelnen Standorten führen würde.

Wie beurteilen Sie diese Situation in beiden Bundesländern Hamburg und Schleswig-Holstein?

Im Einzugsgebiet des Medizinischen Dienstes Nord sehen wir in der Metropole Hamburg ohne jeden Zweifel eine stationäre Überversorgung. In Schleswig-Holstein gibt es neben Maximalversorgern in Großstädten auch Regionen mit einer regionalen Unterversorgung, wo bereits jetzt mit Sicherstellungs-Zuschlägen eine Versorgung gestützt werden muss. In Schleswig-Holstein sind Krankenhäuser zudem bereits in erheblicher finanzieller Schieflage. Wenn jetzt die Vorhaltekosten von den Behandlungsfallzahlen entkoppelt wären, käme es zu mehr Gerechtigkeit gegenüber Krankenhäusern mit höheren Levels. Die Maximalversorger leiden seit Einführung des DRG-Systems darunter, dass sie auch für seltene, komplexe Notfälle hochqualifiziertes Personal vorhalten müssen. Sie konnten aber nur die seltenen Einzelfälle vergütet bekommen. Das war nicht ausreichend finanziert.

Wie sähe eine Umsetzung der Reform konkret für Schleswig-Holstein aus?

Wir haben in Schleswig-Holstein medizinische Versorgung sowohl in Großstädten als auch in der Fläche. In den Großstädten ist die Frage zu stellen, wie weit es sinnvoll ist, dass sich nahe beieinander liegende Krankenhäuser untereinander Konkurrenz machen und das vielleicht mit jeweils noch zu wenig Personal. Hier sind sicherlich Synergieeffekte in Richtung einer Zentralisierung realisierbar.

Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass in der Fläche die erforderliche medizinische Versorgung angeboten. Das wird aber in Konsequenz dessen, was die Regierungskommission vorschlägt, dazu führen, dass wir in der Summe weniger Krankenhäuser in der Fläche haben werden. Das heißt, die Patienten müssen sich tendenziell auf weitere Fahrtwege zu Krankenhäusern einstellen. Dann treffen sie aber auf eine qualitativ höherwertigere medizinische Versorgung. Unter dem Strich das richtige Konzept, von dem die Patienten und Patienten profitieren werden.

Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass die Öffentlichkeit sich gerne für den Erhalt ihres regionalen Kleinkrankenhauses eingesetzt hat. Hier vermisse ich oft die Ehrlichkeit in der Debatte. Denn die, die sich für den Erhalt des Krankenhauses „um die Ecke“ stark machen, fahren, sobald sie ernsthaft erkrankt sind, selbst dann nicht selten bis zum nächsten Maximalversorger eine weite Strecke.

Ließe sich diese „Bereinigung“ mit den derzeitigen Krankenhausstandorten in Schleswig-Holstein überhaupt erreichen? Führt das zum Konzept Großkrankenhaus auf der grünen Wiese?

Also man kann nicht einfach nur ein paar Krankenhausstandorte schließen und annehmen, dass dann alles passt. Hier werden tatsächlich erhebliche Investitionen erforderlich sein, um einige neue Großkrankenhäuser als zentralisierte Standorte zu schaffen. Die könnten durch Ausbau an einem Standort entstehen, an dem jetzt bereits ein Krankenhaus steht. Im Einzelfall kann sinnvoller sein, eine neue Zentralklinik an einem neuen Standort zu planen. Dies alles muss in ein landesbezogenes Gesamtkonzept eingebunden werden und letztendlich vom Land, idealerweise länderübergreifend mit Einbeziehung der schleswig-holsteinischen Patienten in Hamburg, geplant werden. Woher das Geld für diese Investitionen kommen soll, ist für mich dem Konzept der Kommission nicht klar zu entnehmen.

Wie kann sich das am Ende auf die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst Nord auswirken?

Die derzeitigen Pläne der Regierungskommission sehen vor, dass alle Begutachtungen, wie wir sie durch den Medizinischen Dienst Nord heute leisten, weiterhin erfolgen. Denkt man die Pläne der Regierungskommission zu Ende, ist aber zu vermuten, dass Einzelfallabrechnungsprüfungen perspektivisch weiter an Bedeutung verlieren und Strukturprüfungen von Krankenhäusern, jetzt neu von Levels und Leistungsgruppen, an Bedeutung gewinnen werden. Ich erwarte somit in der Abteilung Krankenhaus einer Ressourcenverlagerung von Einzelfallabrechnungsprüfungen hin zu Strukturprüfungen. Das wäre für uns ohne Probleme leistbar, da wir keine harte Grenze zwischen beiden Prüfarten haben, und ärztliche Gutachterinnen und Gutachter sowie Kodierfachkräfte für beides qualifiziert sind.

Wird es insgesamt zu weniger oder zu mehr Aufgaben für die Medizinischen Dienste kommen?

Das hängt davon ab, was am Ende im Gesetz steht. Was die Quantität angeht, kann das dem derzeitigen Konzept der Regierungskommission, das noch kein Gesetz ist, nicht eindeutig entnommen werden. Wie hoch tatsächlich der jeweilige Prüfaufwand sein wird, ist noch nicht klar, da weder die Anzahl der zu prüfenden Strukturmerkmale noch die Frequenzen der Prüfungen derzeitig bekannt sind. Ich gehe nicht davon aus, dass der Prüfaufwand des Medizinischen Dienstes Nord sich reduzieren wird.

Wie ist der weitere Werdegang der geplanten Reform?

Wenn das Reformvorhaben so umgesetzt wird, werden die Medizinischen Dienste die Einhaltung der Voraussetzungen der Levels als auch der Leistungsgruppen überprüfen. Auf dieser Grundlage planen die Bundesländer. Das ist eine große Verantwortung für den Medizinischen Dienst. Diese nehmen wir als fachlich unabhängiger Prüfdienst gerne an. Durch die große Erfahrung aus den vergangenen Jahren in dem Bereich sind wir als einzige Institution qualifiziert und vorbereitet.

Ferner stellt der Medizinische Dienst bundesweit eine einheitliche und unabhängige Begutachtung sicher. Auch vor der Erwartung einer bundesweit einheitlichen Gesundheitsversorgung kann eigentlich nur der nicht interessengeleitete Medizinische Dienst die Levels und Leistungsgruppen prüfen, wenn sie denn nun kommen. Wir freuen wir uns auch auf diese neuen Herausforderungen. Zunächst muss aber erstmal der weitere Werdegang des Reformvorhabens und der konkrete Gesetzesentwurf abgewartet werden. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Herr Dr. Krokotsch, ich danke Ihnen für das Gespräch.