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Foto über Text zu Reha

"Besser überstanden als befürchtet"

"Besser überstanden als befürchtet"

Zu einer Therapie gehört der persönliche Kontakt zwischen Menschen – ein Problem in einer Pandemie mit Kontakt-Beschränkungen. In der öffentlichen Wahrnehmung waren Einrichtungen der Rehabilitation besonders von Infektionsschutz-Maßnahmen betroffen. Doch stimmt dieser Eindruck? Die Begutachtungszahlen zur Rehabilitation waren für Hamburg und Schleswig-Holstein im Jahr 2022 ähnlich hoch wie in den Vorjahren, soweit diese Zahlen aufgrund gesetzlicher Änderungen vergleichbar sind. Wie das bewertet werden kann, erläutert Dr. Sieglinde Bog-Radigk im Interview. Sie ist die Fachbereichsleiterin Vorsorge und Rehabilitation der Abteilung Ambulante Versorgung:

Frau Dr. Bog-Radigk, wie hat die Pandemie die Rehabilitation in Hamburg und Schleswig-Holstein beeinflusst?

Zunächst waren während des Lockdowns im April 2020 alle Einrichtungen geschlossen. Als sie nach zumeist einem Monat wieder öffnen durften, gab es Probleme durch Corona-Ausbrüche und nicht alle Therapieeinheiten durften angeboten werden. So gab es vor allem keine Gruppentherapien und es wurde vermehrt auf Einzeltherapien umgestellt, um Infektionsrisiken zu minimieren. Zudem hatten Einrichtungen Aufnahme-Beschränkungen und Besuchsverbote. Was durchgehend weiterlief, waren die Anschlussrehabilitation und die sogenannte „Entwöhnung“, also die Suchtherapie.

Gab es jemals das Risiko, dass die rehabilitative Versorgung langfristig Schaden nimmt?

Nein, die Rehabilitation war grundsätzlich niemals in Gefahr. Abgesehen von den kurzzeitigen Schließungen und Einschränkungen wegen Corona waren die Einrichtungen nach Mitte 2020 wieder im regulären Betrieb. Auch einen Einbruch bei den Antragszahlen haben wir von 2020 bis 2022 nicht bemerkt.

Was war und ist weiterhin auffällig in der Coronazeit?

Was wir ganz erheblich feststellen, sind vermehrt Anträge auf psychosomatische Rehabilitation für Kinder. Betroffen sind vorwiegend Mädchen in der Pubertät, vorrangig mit Essstörungen wie Anorexia nervosa, also Magersucht, deren Zahl sich erhöht hat. Die jungen Mädchen hatten ein bis zwei Jahre weniger direkte Kontakt zu Gleichaltrigen, bei gleichzeitig gesteigertem Internetkonsum. Und das scheint Ihnen — wie auch Studien ergeben haben — nicht gut getan zu haben. Das ist etwas, das ich bei den Einzelfällen in der Begutachtung sehe. Es gibt aber auch beispielsweise Kinder, die massiv zugenommen haben und jetzt unter Adipositas leiden, weil sie in der Pandemie fast nur noch vor dem Computer saßen und sich nicht mehr bewegt haben. Aber die Essstörungen durch Anorexie sind deutlich häufiger.

Schon jüngere Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren sind durch die Pandemie psychisch beeinträchtigt. Verstärkt wird das Problem nicht nur durch steigende Fallzahlen, sondern auch dadurch, dass die ambulanten Therapieplätze bei Kinder- und Jugendtherapeuten absolute Mangelware sind. Ob das dadurch bedingt ist, dass es so viele Erkrankte mehr gibt, kann ich nur vermuten. Insgesamt sind das auf jeden Fall auch Folgen der Pandemie.

Sind Fälle von Long-Covid ebenso häufig in der Begutachtung wie in der öffentlichen Diskussion?

Wenn man die Presse liest, hat man das Gefühl, es sei ein häufig auftretendes Phänomen. Bislang ist es zumindest bei uns kein Problem, Anträge kommen nur sporadisch. Allerdings gibt es auch andere Leistungsträger wie die Deutsche Rentenversicherung. Einige Kliniken machen zwar Werbung dafür, dass sie Long- und Post-Covid behandeln, allerdings ohne ein Konzept dafür vorgelegt zu haben. Es kann schon sein, dass Long-Covid etwas ist, das mit Verzögerung in der Begutachtung auch auf uns zukommt.

Werden häufig unzulängliche oder keine Konzepte zur Behandlung von Long-Covid vorgelegt?

Ja, wir haben in der SEG 1, der zuständigen bundesweiten Sozialmedizinischen Expertengruppe, dazu im Februar 2022 erhoben, in welchen Bundesländern und in welchen Kliniken spezielle Reha-Konzepte für Long- und Post-Covid vorgelegt wurden. Und es gab praktisch keine -- oder nur einige, die nicht genehmigt werden konnten, weil sie völlig unzulänglich waren. Hier in Hamburg hatten wir auch eine Einrichtung, die ein Konzept vorlegte, das aber auch in keiner Weise den rechtlichen Vorgaben entsprach. Das war eine orthopädische ambulante Rehabilitationseinrichtung, die Long-Covid behandeln wollte. Sie verfügte aber weder über die entsprechenden Fachärzte, noch über die sonstige dafür notwendige Personalausstattung im Rehabilitationsteam. Offenbar sind viele Leistungserbringer noch auf der Suche nach geeigneten Konzepten. Es gibt jedenfalls noch kaum von den Medizinischen Diensten überprüfte und als qualitativ ausreichend bewertete Reha-Konzepte für Long- oder Post-Covid.

Was müsste denn ein solches Konzept beinhalten?

Die BAR, die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, hat im November 2022 den Auftrag vom Sachverständigenrat bekommen, rehaspezifische Forschung zu Long- und Post-Covid zusammenzustellen. Daraus sollen dann Vorgaben für die Rehabilitation bei diesem Krankheitsbild erstellt werden.

…die wann zu erwarten sind?

Hoffen wir mal, dass sie in diesem Jahr noch kommen. Aber so lange dieses Krankheitsbild noch nicht richtig erforscht, ja noch nicht einmal richtig definiert ist, ist es natürlich schwierig, dafür Reha-Konzepte anzubieten. Wir wissen bis jetzt, dass manche Erkrankte kognitive Einschränkungen haben, manche Lungen-Einschränkungen. Und dann gibt es offensichtlich noch neurologische oder psychische Ausfälle im Sinne eines chronischen Fatigue-Syndroms, also CFS, bei dem aber auch noch keiner weiß, ob dies nun Folge einer Covid-Erkrankung ist oder eine Folge depressiver Vorerkrankungen. Dazu wird noch geforscht. Insbesondere die Abgrenzung zu psychischen Erkrankungen, die es immer schon in der psychosomatischen Rehabilitation gab, ist im Einzelfall schwierig.

Was hat die Pandemie denn für die Zukunft mit sich gebracht?

Neben den verstärkten Hygiene-Maßnahmen in den Einrichtungen hat sich in der Digitalisierung sehr viel getan. Neu ist das Digitale Versorgungsgesetz, DVG, mit dem Telemedizin und Videosprechstunden gestärkt worden sind. Darin wurde zum Beispiel festgelegt, dass Physiotherapie, Rehasport und sozialmedizinische Nachsorge für schwerkranke Kinder auch per Tele- oder Videomedizin erbracht werden können.

Was davon sehen Sie bereits in der Begutachtung?

Die ersten Konzepte für Patientenschulungs-Programme im Online-Verfahren werden jetzt bei uns zur Konzeptprüfung vorgelegt. Meistens werden bestehende Konzepte lediglich auf ein Online-Verfahren übertragen. Ein Beispiel ist ein Konzept zur Patientenschulung von Versicherten mit Depression.

Funktioniert das?

Ja, überwiegend gut. Das Problem ist nur, dass gerade ältere Patienten noch Schwierigkeiten haben, diese digitalen Angebote anzunehmen. Das wird sich aber mit zunehmender digitaler Kompetenz sicher noch bessern.

Insgesamt kann man sagen, dass die Rehaeinrichtungen in Hamburg und Schleswig-Holstein die Pandemie besser überstanden haben, als zunächst zu befürchten war. Zu sehen ist auch, dass es neben den negativen Folgen, wie vermehrten psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, auch positive Entwicklungen für die Zukunft gibt, wie die Verbesserung digitaler Angebote.

Frau Dr. Bog-Radigk, vielen Dank für das Gespräch.